Gemeinsame Verfassungsbeschwerde in Hessen gegen Polizeigesetz und Verfassungsschutzgesetz eingelegt

- Rainer Rehak

Die Gesellschaft für Freiheitsrechte e.V. (GFF) hat gemeinsam mit der Humanistischen Union (HU), den Datenschützern Rhein Main (dDRM) und dem Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung (FIfF) heute in Karlsruhe eine Verfassungsbeschwerde gegen das neue Hessische Polizeigesetz und Verfassungsschutzgesetz eingelegt.

Die Beschwerde richtet sich gegen die Ausweitung der Überwachungsbefugnisse für Polizei und Verfassungsschutz. „Mit dem Hessentrojaner und der Big-Data-Analysesoftware Hessendata liegt Hessen beim Angriff auf die Freiheitsrechte im Ländervergleich weit vorne“ sagt Sarah Lincoln, Juristin bei der Gesellschaft für Freiheitsrechte.

Mit der Analysesoftware Hessendata des US-Unternehmens Palantir kann die Polizei Menschen und ihr Umfeld vollständig durchleuchten. Hessendata vereint Daten aus zahlreichen Polizeidatenbanken. Die Software wertet aber auch externe Daten, zum Beispiel aus sozialen Medien, aus. „Wer in den Fokus einer automatischen Datenanalyse gerät, wird schnell zum gläsernen Menschen“, sagt Lincoln.

Der Einsatz des sogenannten Hessentrojaners gefährdet die IT-Sicherheit aller Bürger*innen. Die Polizei kann IT-Sicherheitslücken geheim halten und sie für Überwachungsmaßnahmen ausnutzen, statt darauf hinzuwirken, dass sie schnellstmöglich vom Hersteller geschlossen werden. Dieselben Sicherheitslücken können dann aber auch Cyberkriminelle und ausländische Geheimdienste für Cyberangriffe nutzen.

„Der geringe potenzielle Gewinn an Sicherheit durch den sogenannten Hessentrojaner steht in einem extremen Missverhältnis zur massiven Gefährdung von unzähligen IT-Systemen weltweit”, führt Roman Peters von _die_Datenschützer Rhein Main aus.

„Als Journalist und Bürgerrechtler bange ich um meine Informationsquellen”, erklärte der Marburger HU-Regionalvorsitzende und Beschwerdeführer Franz-Josef Hanke. „Ich kann künftig nicht mehr darauf hoffen, dass mir von Überwachung bedrohte Menschen überhaupt noch etwas über Telefon oder Email anvertrauen.”

Unter den sieben Beschwerdeführer*innen sind neben HU-Regionalvorsitzenden Franz Josef Hanke auch die Rechtsanwältin Seda Başay-Yıldız, Klaus Landefeld als Vorstandsmitglied des Verbands der Internetwirtschaft eco und DE-CIX Aufsichtsrat sowie Silvia Gingold, Lehrerin in Ruhestand und Tochter des jüdischen Widerstandskämpfers Peter Gingold, die aufgrund ihres antifaschistischen Engagements seit ihrer Jugend unter Beobachtung des Verfassungsschutzes steht.

Das neue Verfassungsschutzgesetz sieht unter anderem den weitreichenden Einsatz von verdeckten Ermittlern, die Ortung von Mobilfunkgeräten und die Überwachung von Reiserouten vor. Einmal erhobene Daten kann der Verfassungsschutz nahezu voraussetzungslos an andere öffentliche Stellen und an ausländische Regierungen weiterleiten. Betroffene selbst haben nur sehr eingeschränkte Auskunftsrechte darüber, welche Daten über sie erhoben wurden.

Für die angegriffenen Überwachungsbefugnisse hat die Hessische Landesregierung inzwischen bereits zweimal den Big Brother Award erhalten, mit denen jährlich Datensünder in Wirtschaft und Politik prämiert werden.

Die Gesellschaft für Freiheitsrechte e.V. (GFF) initiiert, koordiniert und finanziert gerichtliche Verfahren, um die Grund- und Menschenrechte zu verteidigen. Sie bringt dafür geeignete Kläger*innen mit exzellenten Jurist*innen zusammen, um gemeinsam gerichtlich gegen Rechtsverletzungen vorzugehen. Im Internet: info [ät] freiheitsrechte.org/ freiheitsrechte.org / @freiheitsrechte

die Datenschützer Rhein Main sind eine Bürgerrechtsgruppe, die sich im Bereich Datenschutz und Informationsfreiheit engagiert. Sie beschäftigen sich u.a. mit den Themen Sozialdatenschutz, Digitalisierung des Gesundheitswesens, Videoüberwachung und Vorratsdatenspeicherung. Im Internet: info [ät] ddrm.de/ ddrm.de / @Dat3nschutz

Als größte und älteste Bürgerrechtsorganisation Deutschlands engagiert sich die Humanistische Union (HU) seit 1961 für Freiheitsrechte und Demokratie. Im Internet: info [ät] humanistische-union.de/ humanistische-union.de / @humunion

Das Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung e.V. (FIfF) sind ca. 700 Fachleute aus der Informatik, dem IT-Bereich und IT-nahen Berufsfeldern, die sich kritisch mit den Auswirkungen des IT-Einsatzes in unserer Gesellschaft auseinandersetzen. Im Internet: fiff [ät] fiff.de/ fiff.de / @FIfF_de.

Weitere Informationen

  • Projektseite der Verfassungsbeschwerde bei der Gesellschaft für Freiheitsrechte: https://freiheitsrechte.org/polizeigesetz-hessen/
  • Die Beschwerdeschrift: https://freiheitsrechte.org/home/wp-content/uploads/2019/07/2019-07-01-VB-Hessen-finalohneAdressen.pdf

Über das FIfF

Das Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung (FIfF) e. V. ist ein deutschlandweiter Zusammenschluss von Menschen, die sich kritisch mit Auswirkungen des Einsatzes der Informatik und Informationstechnik auf die Gesellschaft auseinandersetzen. Unsere Mitglieder arbeiten überwiegend in informatiknahen Berufen, vom IT-Systemelektroniker bis hin zur Professorin für Theoretische Informatik. Das FIfF wirkt in vielen technischen und nicht technischen Bereichen der Gesellschaft auf einen gesellschaftlich reflektierten Einsatz von informationstechnischen Systemen zum Wohle der Gesellschaft hin. Zu unseren Aufgaben zählen wir Öffentlichkeitsarbeit sowie Beratung und das Erarbeiten fachlicher Studien. Zudem gibt das FIfF vierteljährlich die „FIfF-Kommunikation – Zeitschrift für Informatik und Gesellschaft“ heraus und arbeitet mit anderen Friedens- sowie Bürgerrechtsorganisationen zusammen. Hier finden sich unsere 10 Werte.

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Durch das Ausnutzen und Offenhalten von Sicher­heits­lücken werden digitale Infrastrukturen und Nutzer:innen digitaler Systeme hohen Risiken ausgesetzt. Das FIfF lehnt das ab, da so das Recht auf Integrität und Vertraulichkeit informationstechnischer Systeme verletzt wird. Durch das Ausnutzen und Offenhalten von Sicher­heits­lücken werden digitale Infrastrukturen und Nutzer:innen digitaler Systeme hohen Risiken ausgesetzt. Das FIfF lehnt das ab, da so das Recht auf Integrität und Vertraulichkeit informationstechnischer Systeme verletzt wird.

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